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GID! Interview mit Biffy Clyro: “Wir brauchen mehr junge Menschen an der Spitze”

2020 sollte das Jahr von Biffy Clyro werden. Nicht nur markiert es das 25. Bandjubiläum, sondern auch ihr achtes Studioalbum A Celebration of Endings sollte erscheinen. Aber die Pandemie sah andere Pläne vor. Mit drei Monaten Verspätung hat die Band ihr neuestes Werk endlich veröffentlicht und zeigt dabei mal wieder, dass sie sich über die Grenzen ihres Sounds hinauswagen. Das Album handelt von Veränderungen und laut Drummer Ben Johnston ist es ihre bisher selbstbewussteste Platte. Vor der Veröffentlichung sprach Johnston mit GENRE IS DEAD! über Simon Neils unheimliche Vorahnung, über Probleme, die bei einer Albumveröffentlichung während der COVID-Pandemie aufkommen und warum die Band sich selbst nun mehr vertraut, als je zuvor.

Die Pandemie hat einen ziemlich großen Einfluss auf die Musikbranche. Livemusik kann nicht stattfinden und Albumveröffentlichungen wurden verschoben, so auch A Celebration of Endings. Was war die größte Herausforderung, mit der ihr bei der Vorbereitung der Albumveröffentlichung mitten in der Pandemie umgehen musstet?

Ben Johnston: Es ist vor allem mental eine große Herausforderung, weil wenn du dein Herz und deine Seele in eine Platte steckst, die in einer bestimmten Zeit geschrieben wurde, dann willst du auch, dass das Album in dieser bestimmten Zeit erscheint – und nicht viel später. Es verändert unsere Lebensumstände komplett und damit auch das Album, weil es dann post-pandemisch erscheint. Es ist ein bisschen verrückt, wenn das Album dann letztlich besprochen wird, weil viele Lyrics auf dem Album klingen, als wären sie über die Pandemie geschrieben worden. Irgendwie suspekt, dass [Sänger] Simon [Neil] keine Ahnung hatte, was passieren würde, die Lyrics aber unglaublich gut zu dem passen, was wir gerade durchmachen. Das ist schon wirklich sehr verrückt und auch nicht ganz leicht. Natürlich ist es auch eine willkommene Pause, die man mit der Familie Zuhause hat, aber das ist auch schon die einzig gute Sache daran. Ansonsten ist es eher ziemlich frustrierend und eine eigenartige Normalität, an die man sich gewöhnen muss.

Ich finde es interessant, dass das Album vor COVID geschrieben wurde, weil sowohl der Titel als auch die Themen, die auf den Singles angesprochen werden, sehr zu dem, was 2020 passiert ist, passt. Eine wirklich komische Vorahnung!

BJ.: Es hat mich auch echt umgehauen, will es wirklich so zufällig war. Ich schwöre, Simon hat keine hellseherischen Fähigkeiten oder sowas. Ich habe mich das wirklich gefragt, weil einige der Texte ziemlich ergreifend sind, wie z.B. die Lyrics [von „North of No South“] „Have you ever been a place in which you couldn‘t breathe / but of course you couldn‘t stay?“. Heilige Scheiße, das war wirklich die passendste Textzeile zum Black Lives Matter Movement und George Floyd. Und das wurde geschrieben, bevor das alles überhaupt passiert ist! Es ist verrückt, wie viele dieser Texte zur jetzigen Situation passen. Aber ich denke auch, dass Kunst immer das Leben imitiert und andersrum. Diese Dinge passieren eben, aber das hat mich echt umgehauen.

Die eine Zeile, die mich hat fragen lassen, ob ihr wusstet, was passieren wird, ist aus „Tiny Indoor Fireworks“: „Looking for a new revolution / This one didn‘t get very far.“ Wir sehen, dass genau das jetzt passiert.

BJ: Ich weiß, ich weiß! Ich mache momentan alle diese Interviews und alle Leute fragen, worum es in diesem Song geht und ich weiß durchaus, worum es geht und dann fange ich an, darüber zu reden, aber dann denke ich mir wieder, dass kann nicht wirklich die Bedeutung sein. Wir haben ein nach Außen gerichtetes Album geschrieben, das all die verschiedenen Bedeutungen hat, gleichzeitig aber auch unsere eigenen Anlässe für die Songs zurückhält. Das ist schon echt interessant.

Wie du bereits erwähnt hast, blickt das neue Album eher auf äußere Prozesse, als auf persönliche Erlebnisse und es thematisiert auch Politisches. Biffy ist nicht wirklich als eine politische Band bekannt. Hattet ihr Angst, jetzt eine etwas deutlichere politische Richtung einzugehen?

BJ: Ich glaube nicht, dass wir Angst hatten. Ich denke aber, dass Politik inzwischen einfach omnipräsent ist. Wenn du jetzt über dein Leben etwas schreibst, dann beinhaltet auch das Politik, weil jeder irgendwie davon betroffen ist. Als ich aufgewachsen bin, war das noch etwas anders. Aber heutzutage musst du irgendwie politisch sein, weil es einfach vor deiner Tür passiert. Es ist schon krass, wie sehr sich die politische Landschaft seit meiner Kindheit verändert hat. Dinge, die man für selbstverständlich hält, wie Empathie, Gemeinschaft, einfach Nettigkeit und keine schlechte Person zu sein, scheinen heutzutage langsam aufzuhören. Das ist nicht richtig, dass das passiert und man kann das nicht gutheißen, daher kommt das. Wir haben auch alle einige persönliche Probleme durchlebt und haben aufgehört mit Leuten zu arbeiten, die seit 20 Jahren in unserem Leben waren. Das war schmerzhaft, aber wir mussten damit umgehen.

Das Album handelt davon, Veränderungen anzunehmen – auf eine positive Weise – und zu lernen, was unsere vergangenen Fehler uns gelehrt haben, damit wir die Dinge zukünftig richtig machen können, weil vieles in der Vergangenheit nicht stimmte. Es ärgert mich tierisch, wenn Politiker davon reden, nach der Pandemie wieder zurück zur Normalität zu kehren. Ich glaube, niemand will dahin zurückgehen. Niemand will dahin zurück, wie es vorher war, denn meiner Meinung nach war es vorher nicht wirklich gut.

Ich mag sehr, wie das Album thematisiert, was um uns herum passiert, aber es hat auch einen optimistischen Ausblick. Da ist diese Message, dass Dinge unschön sind, aber es besser wird. Und genau das ist es, was wir jetzt brauchen, weil es einfach schwer ist, diesen Optimismus beizubehalten. Man wacht auf und wird von all den blöden Dingen bombardiert, die Politiker mal wieder von sich gegeben haben und dann erinnert man sich wieder daran, dass wir noch immer mitten in einer Pandemie stecken.

BJ: Ja, es ist ein ziemlich hoffnungsvolles Album. Wir haben schon noch ziemlich viel Hoffnung für die Zukunft. Das Album ist offensichtlich pre-COVID, aber auch da liefen einige Dinge schon ziemlich mies, als wir das Album geschrieben haben – zumindest fühlte es sich für uns so an. Aber wir haben Glauben an die nächste Generation. Ich denke auch, genau das ist es. All diese schlechten Dinge, die du hörst, kommen meist von alten Männern, die sich wie Arschlöcher verhalten und einfach nicht das Richtige tun, sowohl für unseren Planeten oder uns Menschen. Ich habe aber wirklich große Hoffnung auf die nächste Generation, auch dank Menschen wie Greta [Thunberg], Menschen, die für unseren Planeten kämpfen. Diese Menschen sind die Macht der Veränderung, weil sie auf einem Planeten geboren wurden, der offensichtlich zerstört wird, also was bleibt ihnen noch anderes übrig? Daher habe ich Glauben daran, dass die nächste Generation diese Veränderungen durchsetzen kann, um unseren Planeten vor der endgültigen Zerstörung zu bewahren.

Es ist toll zu sehen, wie die nächste Generation offen anspricht, dass Dinge falsch laufen und bewusst etwas dagegen tun möchte. Sie lassen nicht nur ihre Stimmen hören, sondern sie wollen wirklich diese Veränderung erreichen.

BJ: Ja, das ist schon sehr beeindruckend. Als ich jünger war, waren die Dinge noch offensichtlich anders und das war auch gut. Aber jetzt haben die Kids mehr Bewusstsein für gewisse Dinge. Wir brauchen mehr junge Menschen an der Spitze, denn die alten Leute wissen einfach nicht mehr, was sie da überhaupt machen.

Kommen wir zurück zum Album. Ihr seid erneut mit Rich Costey ins Studio gegangen, mit dem ihr bereits 2016 für Ellipsis gearbeitet habt. Was war ausschlaggebend dafür, dass ihr wieder mit ihm am neuen Album arbeiten wolltet?

BJ: Alle guten Dinge sind drei! Das mögen wir. Wir haben bisher immer drei Alben nacheinander mit einem Produzenten gemacht, aber das war jetzt nicht der ausschlaggebende Grund. Wenn Ellipsis nicht gut gewesen wäre, hätten wir das nicht noch einmal so gemacht. Als wir mit ihm an diesem Album gearbeitet haben, fühlte es sich so an, als hätten wir kein besseres Album als Ellispsis aufnehmen können. Aber wenn man zum ersten Mal mit einem Produzenten arbeitet, läuft nicht immer alles glatt. Dein Kopf rattert, es kann frustrierend sein, weil du nicht dein wirkliches Ich zeigst. Beim zweiten Album wird alles etwas entspannter und du kannst dich den Personen tatsächlich besser öffnen. Auf unserem neuen Album verstanden wir einander einfach viel besser. Als wir Vorschläge machten, hat Rich sie nicht direkt abgelehnt, so wie es noch zu Ellispsis-Zeiten der Fall war. Er macht einfach tolle Alben und hat bisher schon einige große Alben mit unseren Lieblingsbands aufgenommen. Wir mögen einfach die Art, wie er arbeitet, auch wenn er uns manchmal verdammt zur Weißglut treibt und sehr frustrierend sein kann, wie ein kleines Kind ist, das nicht still sitzen kann. Er kann nicht bei einer Idee bleiben, ohne den FoKus zu verlieren, was nicht ganz leicht ist. Aber wir lieben das Ergebnis, das wir am Ende haben. Er arbeitet sehr hart und investiert sehr viel in jeden Song rein. Er verändert oft noch ein paar Dinge in der letzten Minute, was sehr anstrengend sein kann. Aber die End-Resultate sind immer fantastisch.

Interessant, dass ihr euch sagt, alle guten Dinge sind drei. Denn letztes Jahr habt ihr den „Balance, Not Symmetry“-Soundtrack gemacht, der sehr unerwartet für Biffy war. Wie haben euch die Erfahrungen, die ihr bei der Arbeit an dem Soundtrack gemacht habt, für die Arbeiten am neuen Album inspiriert?

BJ: Ich glaube, das hat uns ziemlich inspiriert. Wir haben das „Balance“-Album ohne die Plattenfirma gemacht. Es wurde auch nicht durch sie finanziert; es wurde durch den Film finanziert, also hatte die Plattenfirma wenig Einfluss darauf. Es waren lediglich wir drei. Wir waren da einfach ganz frei und verrückt. Jede Idee war eine gute Idee und jeder Song auf dem Album klingt fast wie eine andere Band. Ich denke, wir haben einfach einen gewissen Frieden gefunden, als wir das Album gemacht haben und das hat uns definitiv für die Zukunft beeinflusst, weil wir einfach mehr auf uns vertraut haben und auch mal verrückte Sachen auf A Celebration of Endings probiert haben. Das war glaube ich sehr wichtig für die Band. Wir sind uns jetzt einfach viel sicherer, was wir wollen. Es hat uns geholfen, die Vision für A Celebration of Endings zu haben.

Egal, ob es um die Musik geht oder neue Konzepte für Live Shows, Biffy Clyro hat kein Problem damit, Dinge zu verändern. In welche Richtung soll die Band als nächstes gehen?

BJ: Das ist eine schwierige Frage, weil mir keine Location einfällt, wo wir noch nicht gespielt haben oder so. Wir waren auf der ganzen Welt unterwegs und konnten all unsere Lieblingsbands supporten. Ich denke, meine Antwort ist, einfach Technologien anzunehmen und hoffentlich unter den ersten Bands zu sein, die gewisse Dinge ausprobieren. Keine Ahnung, was das sein wird, aber ich weiß, dass es Technologien geben wird, bestimmte Möglichkeiten Musik aufzunehmen, zu übertragen oder zu konsumieren und ich wäre gerne unter den Vorreitern. Einfach, dass wir uns dazu motivieren, etwas zu machen, was niemals zuvor gemacht wurde, denn darum geht es. Es ist wie [unsere Livestream Show] in Glasgow. Wir haben das vorher noch nie gemacht und vielleicht machen wir das auch niemals wieder, aber uns geht es um die Erfahrungen. Für mich geht es bei dieser Band darum, so viele Erfahrungen zu machen, wie es geht und die Erfolgswelle mitzunehmen, die wir mit sehr viel Glück haben, und einfach Spaß zu haben. Darum geht es. 

Biffy Clyro gehen im Herbst 2021 auf große Europa Tournee. Tickets und weitere Infos gibt es HIER.

Das Interview erschien zuerst auf genreisdead.com und wurde für die deutsche Übersetzung gekürzt und editiert.

Übersetzung: Nina Menken / Melissa Wilke

Ashley Perez Hollingsworth:
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