“Ich komm nicht auf deinen Rave, Boy/Ich laufe kopflos durch die Nacht mit meinem Waveboy/Und einem Weißwein in der Hand” – mit ihrem ultra-fröhlichen Song “Wave Boy” hat unsere “Sound of the Underground”-Auserwählte Mia Morgan das Lebensgefühl des Sommers eingefangen. Dabei ist der Song, wie ihre bisherigen Veröffentlichungen, nicht mal “richtig” produziert. Doch, wenn Text, Musik, Stimme und das Feeling stimmen, rücken produktionstechnische Feinheiten auch mal in den Hintergrund. Dass Mias Musik mehr als nur eine Facette hat, kann man sich auf ihrem Soundcloud-Profil anhören. So leben Songs wie “Wiedergänger” oder “Das Monster” von ihrer schweren Melodramatik ohne weniger eingängig zu sein. Doch wer ist die junge Künstlerin aus Kassel, die neben der Musik auch Bücher schreibt, fotografiert und nicht nur ihren Alltag akribisch auf Instagram und Facebook teilt, sondern auch immer wieder Politik, Sexismus und ihre Borderline-Persönlichkeitsstörung thematisiert? In unserem Interview spricht Mia Morgan über ihre Anfänge als Musikerin, ihren unbändigen Schaffensdrang, zukünftige Projekte, die Selbstdarstellung im sozialen Netz und den Umgang mit Hasskommentaren.
Bei meiner Recherche ist mir aufgefallen, dass die Presse anscheinend nicht so richtig weiß, in welche Schublade sie dich einsortieren soll: mal bist du das neue It-Girl, mal Influencer, dann wieder Künstlerin. Als was würdest du dich bezeichnen, bzw. möchtest du überhaupt in irgendeine Schublade gesteckt werden?
Von allem ein bisschen und dann wieder doch nicht so richtig. Ich will mich nicht zwanghaft zwischen Schubladen klemmen und mit Klischees brechen, um aus irgendeinem Muster zu fallen, im Gegenteil, ich mag Klischees und spiele auch gerne mit ihnen. Ich finde es interessant, zu erfahren, wie andere mich einschätzen, bzw. als was und wie mich andere beschreiben. Mich selbst würde ich am ehesten als Künstlerin bezeichnen, da alles, was ich mache, grob unter dem Begriff Kunst zusammengefasst werden kann.
Pop ist im Jahre 2010 an einem heißen Fieber gestorben. Deswegen ist es an der Zeit, den Begriff neu zu definieren.
Du bist Studentin und hast dementsprechend begrenzte Mittel, trotzdem bist du unfassbar umtriebig. Du bist Autorin, Fotografin, Musikerin und lebst eine Art DIY-Punk Lifestyle. Im letzten Jahr bist du z.B. mit einem nicht-veröffentlichten Buch auf Lesereise gegangen. Planst du deine Karriere akribisch oder machst du einfach das, worauf du gerade Bock hast? Welche Tipps gibst du anderen jungen Künstlern?
Obwohl ich einen groben Plan habe, bin ich in dessen Rahmen meist sehr impulsiv. Ich mache das, worauf ich Lust habe, und sobald ich Lust darauf bekomme, muss es SOFORT passieren. Wenn mir eine Idee kommt, will ich sie so schnell wie möglich umsetzen. Dieser Schaffensdrang ist manchmal kaum auszuhalten. Was die Lesereise anbelangt, war auch zuerst die Idee zu selbiger da, und dann das Buch. Ich habe überlegt, um welche Erfahrungen kann ich mich literarisch erleichtern und mit ihnen auch ein Publikum unterhalten, und dann habe ich drauf los geschrieben. Der Termin für die erste Lesung stand schon, da hatte ich bloß ein Kapitel fertig. Mein Tipp an andere junge Künstler*innen wäre demnach: Einfach machen. Auch, wenn’s nur für euch selbst ist und es erstmal niemand anhört, liest oder betrachtet, macht’s einfach. Für euch. Es wird gut.
Gibt es eine Kunstform, an der dein Herz besonders hängt?
Musik.
Wie hat das mit der Musik bei dir angefangen?
Das war irgendwie schon immer so. Meine Eltern haben einen ziemlich breitgefächerten Musikgeschmack und als ich klein war, gab’s jedes Wochenende bei uns zu Hause „Disko“. Mein Vater hat CDs jedes erdenklichen Genres aufgelegt und wir haben alle getanzt, meine Eltern, meine Cousins und Cousinen und ich. Ich wollte dann irgendwann, dass meine Eltern mir die Englischen Texte übersetzen, damit ich verstehe, was gesungen wird, und dann habe ich auch selbst angefangen, Lieder zu erfinden. Mit zwölf war ich dann Sängerin in der Schülerband, danach in zwei weiteren Metal-Bands. Ich habe mir erst relativ spät Gitarre und Klavierspielen beigebracht, und das auch nur dürftig, eben gut genug, um selbst und ohne Band Musik machen zu können.
Wenn ich deine Demos auf Soundcloud anhöre, meine ich Einflüsse u.a. von den frühen Die Ärzte, Drangsal, Marina and The Diamonds oder Kate Nash zu hören. Wie würdest du selbst deine Musik beschreiben?
Das sind aber schöne Vergleiche. In erster Linie, und überhaupt, mache ich Musik für mich selbst. Ich schreibe, was ich hören will. Und das ist irgendetwas zwischen rotzigem Girl-Rock und New Wave. Aber mittlerweile bin ich eigentlich recht glücklich damit, wenn man meine Musik einfach als Pop bezeichnet. Das Stigma, also das, was uns mal als Pop geläufig war, ist nach „THE FAME MONSTER“ [von Lady Gaga] im Jahre 2010 an einem letzten heißen Fieber gestorben. Deswegen ist es an der Zeit, den Begriff neu zu definieren. Die „edgy“ tumblr-Musik, die 80er-Jahre-Schnösel wie ich es einer bin, hören, war damals ja auch Pop. Ich nenne meine Musik meistens also Gruftpop.
Wer sind deine musikalischen Vorbilder?
Genau wie beim Texteschreiben ist es so, das sich im eigenen Werk stets widerspiegelt, was man zur Schaffenszeit konsumiert hat. Als ich vor drei Jahren Stefanie Sargnagel entdeckt und ihre Bücher gelesen habe, lasen sich meine Facebook-Posts sehr schnell, als sei ich aus Wien und nicht aus Kassel. Meine ersten Demos, Englische Demos, klangen, als hätte ich sie für Lana Del Rey oder Marina Diamandis geschrieben. Ich hänge seit langer Zeit auf den selben Bands fest, und maximal alle zwei Monate kommt eine neue dazu, und die hat’s dann natürlich schwer, den Status zu erreichen, den meine Lieblingsbands bei mir haben. Das hört man an meiner Musik, glaube ich. Viele „wichtige“ Bands kenne ich gar nicht, weil ich seit elf Jahren jeden einzelnen Tag „Alleine in der Nacht“ von den Ärzten höre. Ich denke, ich stehe daher eher unter permanentem Einfluss bestimmter Musiker*innen, als dass ich mir eine*n speziell zum Vorbild auserkoren habe. Obwohl ich unverschämt leidenschaftlicher Fan von so einigen in der Öffentlichkeit stehenden Künstler*innen bin, und sehr anfällig für Personenkult.
Ich muss ja gestehen, dass ich deine Songs auf Soundcloud den ganzen Sommer über auf heavy rotation hatte. Während “Wave Boy” definitiv die größten Ohrwurm-Qualitäten hat, finde ich, dass deine Stimme bei “Wiedergänger”, “Es geht dir gut” oder “Das Monster” – wahrscheinlich wegen der Ernsthaftigkeit der Texte – viel ausdrucksstärker und emotionaler ist. Bleibst du in Zukunft bei den etwas düsteren, emotionalen Songs oder probierst du dich weiter in der locker-flockigen Pop-Ecke aus?
Das freut mich enorm, dass ich so ein Teil deines Sommers sein konnte. Also, was „Waveboy“ anbelangt, habe ich mich damals tatsächlich mit dem Vorsatz hingesetzt, mal was sehr leicht verdauliches, übermäßig fröhliches zu schreiben, was Hörer an ein Date mit einem unproblematischen feministischen Traumtyp erinnert. Trotzdem suhle ich mich gerne in der Verherrlichung meiner eigenen Melancholie. Liebeskummer kann sich auch schön anfühlen, genau so wie man am tollsten Sommerabend am Sylter Strand urplötzlich einer tiefen Depression verfallen kann. Ich schreibe also einfach, was mir so in den Sinn kommt.
“Wave Boy” wurde sowohl im Podcast “Mit Verachtung” von Casper und Drangsal als auch von Steffen Israel in “Radio mit K” empfohlen. Das hat dir sicherlich eine Menge Aufmerksamkeit gebracht. Wie war das für dich?
Geilo war das. Habe echt gedacht, ich pisse mir ein. Das war mir eine große Ehre, und ich bin sehr dankbar für die Chancen, die mir diese beiden Empfehlungen eröffnet haben.
Hörst du Casper, Drangsal und Kraftklub auch privat?
Ich bin Die-Hard-Drangsal-Fan, sie sind alles, worauf ich musikalisch gewartet habe. An Casper kommt man natürlich eh nicht vorbei, der war immer schon irgendwie da, obwohl ich mich mit Deutschrap früher recht schwergetan habe, hat er eine Nische geschaffen, die ich ziemlich geil finde. Habe ihn 2011 zum ersten Mal live in Berlin gesehen und war so beeindruckt von der Wirkung, die er auf’s Publikum hatte. Er ist sau charismatisch. Und Kraftklub gehörte für mich zum „Alternative-Friday“ im Musiktheater Kassel wie Nörten Hardeberger und saufettige geile Chemiepommes, und jedes Mal wegen einem anderen ranzig ausschauendem Typen mit gedehnten Ohrlöchern weinen.
Ist es nicht auch ein wenig nervig, so ein Shoutout zu bekommen, wenn man die Aufmerksamkeit nicht richtig nutzen kann, weil man nur Demos online hat und keine Möglichkeit die Songs “vernünftig” produziert zu veröffentlichen?
Nervig nicht, aber ich stehe seitdem unter Druck. Ordentlich Druck, aber guter Druck. Ein wichtiger Schritt ist getan. Die Songs produziert zu veröffentlichen, ist der nächste. Und diese Shoutouts haben mir einen Fuß in eine geile Tür gestellt. Auch, wenn es nun erstmal dabei bleibt, ich bin glücklich und dankbar.
Kann man dich zukünftig irgendwo live sehen?
Am 15.12. habe ich die unfassbare Ehre, auf dem „Zurück Zu Hause“-Festival von Casper in Bielefeld zu spielen. Eine Woche davor spiele ich einen kleinen lokalen Gig beim T-Shirt-Launch einer befreundeten Künstlerin.
Wird es demnächst eine Homepage geben, auf der man diese Infos nachlesen kann?
Sind eigene Homepages noch in? Ich update via Facebook und instagram.
Du beschreibst dich selbst als “aufmerksamkeitsgeil und nervig”. Außerdem sprichst du ganz offen über deine psychische Erkrankung und dein Instagram-Account besteht nicht aus hyper-perfekt inszenierten Bildern. Ist es dir wichtig ein gutes Vorbild für junge Frauen zu sein indem du ein positives Selbstbild vermittelst, einen Standpunkt vertrittst und zeigst, dass Menschen physisch und psychisch zerbrechlich sein können?
Klar, ich sehe es als eine angenehme feministische Pflicht, Mädchen und Frauen und eigentlich allen meine Werte zu vermitteln. Mein Selbstbild ist nicht immer positiv, aber ich behaupte das auch nie. Man kann nie genug über psychische Erkrankungen, Feminismus, Politik reden. Mich online zu verstellen, würde mich selbst irritieren. Perfekt inszenierte Fotos passen nicht in meinen Feed. Und Aufmerksamkeit wollen wir alle, irgendwie. Ob von Freunden, vom Schwarm, oder eben von einer breiteren Masse.
Welches Feedback bekommst du dafür online?
Überwiegend positives, und meistens von Goth-Girls, da geht mir echt das Herz auf. Jede einzelne Nachricht, sei sie auch noch so kurz, freut mich so enorm. Negatives Feedback geht von Slut-Shaming wegen Unterwäsche-Fotos über stumpfe Beleidigungen bis hin zu ellenlangen Texten von Fremden, die sich anmaßen, mir „Verbesserungsvorschläge“ zukommen zu lassen. Mensplaining 2.0. Aber liebe Nachrichten machen das wett.
Wie so vieles ist Borderline kein starrer Zustand, nichts ultimatives, sondern ein Spektrum. In den Medien sind Borderliner*innen immer automatisch Ritzer*innen, wollen eigentlich eh nur sterben und sind komplett unfähig, Beziehungen zu Menschen aufzubauen oder halt saugemein und manipulativ. Das kann alles sein, aber in Wirklichkeit ist keine Symptomatik wie die andere.
Wie gehst du mit kritischen Kommentaren/Trollen um, insbesondere hinsichtlich deiner Borderline-Erkrankung? Ich stelle mir das sehr schwierig vor.
Ich bin sehr streitsüchtig und kann Kritik im seltensten Fall auf mir sitzen lassen. Das ist definitiv eine Schwäche und ich wäre gerne „stärker“ als mein Drang, zurückzufeuern, aber soweit bin ich noch nicht. Es kommt immer darauf an, was „kritisiert“ wird und wie. Tatsächlich kann ich aber besser verkraften, wenn mich jemand als hässliche Scheisse bezeichnet, als wenn jetzt jemand eine gut fundierte Kritik an meiner Kunst verfasst hat, die mich verunsichern soll.
Inwiefern schränkt die Krankheit dich in deinem Leben ein und wie hilft sie dir z.B. bei deiner kreativen Arbeit?
Obwohl’s eh eine ist, finde ich „Krankheit“ klingt immer so drastisch. Ich weiß nicht, wie’s ist, KEIN Borderline zu haben. Deswegen lebe ich halt einfach damit, und ich bin tatsächlich meistens dankbar für meine intensiven Empfindungen und meine Empathiefähigkeit, weil es mir auch wirklich bei meiner kreativen Arbeit zugute kommt.
Glaubst du, dass Borderline-Erkrankte in der Öffentlichkeit richtig dargestellt werden und das Thema generell die nötige Beachtung erfährt? Welche Klischees würdest du gerne ausmerzen?
Wie so vieles ist Borderline kein starrer Zustand, nichts ultimatives, sondern ein Spektrum. In den Medien sind Borderliner*innen immer automatisch Ritzer*innen, wollen eigentlich eh nur sterben und sind komplett unfähig, Beziehungen zu Menschen aufzubauen oder halt saugemein und manipulativ. Das kann alles sein, aber in Wirklichkeit ist keine Symptomatik wie die andere. Man kann da absolut nicht pauschalisieren. Borderline ist eine sehr wirre psychische Erkrankung, die schwer zu definieren ist. Eine allgemeine emotionale Instabilität äußert sich nie auf die selbe Art und Weise.
Wenn du dich selbst depressiv fühlst und über Selbstmord nachdenkst, kannst du an vielen Stellen Hilfe finden. Die Telefonseelsorge bietet nicht nur eine Hotline an, sondern auch einen Chat. Die Beratung ist anonym und kostenlos.
Telefonseelsorge: 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.
Hilfe-Chat
E-Mail-Beratung.
Weitere Infos über die Borderline-Persönlichkeitsstörung findest du hier:
http://www.borderline-plattform.de/
Verrückt aber wahr: das Jahr ist bald schon wieder zuende. Was waren deine Lieblingsalben, -songs und -konzerte in 2018?
„FAKE“ von den Nerven ist das beste Album des Jahres für mich gewesen, keines habe ich öfter gehört, vor allen Dingen nicht am Stück. Mein Lieblingskonzert war tatsächlich auch ein Nerven-Konzert, erst vor kurzem, es war sehr warm und ich war danach ordentlich erkältet. Im Januar habe ich aber auch endlich Depeche Mode live gesehen, und das waren natürlich nochmal ganz andere Dimensionen. Mein Lieblingssong wechselt wöchentlich, gerade ist es „Moleskin“ von Karies. Am allermeisten gehört habe ich dieses Jahr aber, befürchte ich, so peinlich mir das ist, „Dior 2001“ von RIN, das ist schon eine Art Meme geworden für mich, weil eigentlich ist das so null mein Geschmack, aber, man kann’s nicht leugnen, es ist ein BOP Deluxe, den man easy vierzig bis sechzig mal am Stück und dann noch weitere hundert Male hören kann.
Was können wir 2019 von dir erwarten? Vielleicht sogar neue Musik?
Definitiv neue Musik, alte Musik neu aufgenommen, Musikvideos, Texte, und mein Leinwand-Debüt im neuen Til Schweiger Film! [Anm. d. Red.: Auch, wenn es grandios wäre, ist das leider nur ein Scherz]
Folgt Mia Morgan auf Instagram, Facebook, Twitter, YouTube, Soundcloud und Spotify!
Im “Sound of the Underground” stellen wir regelmäßig junge Nachwuchskünstler vor, die uns mit ihrer geilen Mucke begeistert haben. Falls ihr geile Mucke macht, und denkt, sie wird uns begeistern, schickt eure Infos und Links an contact (at) genreisdead.com (Wichtig: NICHT .de).
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