GID! Spotlight: Lindemann’s zweites Album F&M

Nach vier Jahren haben Till Lindemann und Peter Tägtgren aka Lindemann heute ihr neues Album F&M veröffentlicht. Hat sich die Band musikalisch weiterentwickelt? Klingt es wie Rammstein? Und lohnt es sich überhaupt mal reinzuhören? Nils hat das Album für unser GID! Spotlight ganz genau unter die Lupe genommen.
Für die Fans von Rammstein waren die letzten zwölf Monate durchaus ein riesiges Trostpflaster nach knapp zehn Jahren ohne Studioalbum. Den Anfang machte Gitarrist Richard Z. Kruspe, der das dritte Album A Million Degrees seines Nebenprojektes Emigrate veröffentlichte. Danach meldeten sich Lindemann mit der stilistisch gewöhnungsbedürftigen Single „Mathematik“ zurück. Das Highlight dürfte sicherlich das neue unbetitelte Rammstein Album sein, auf welches die Ankündigung für eine Tour durch Europas Stadien folgte. Doch wer gedacht hatte, dass man jetzt bis nächstes Jahr erstmal verschnaufen kann, hat die Rechnung ohne Till Lindemann und Peter Tägtgren gemacht. Denn kurz vor Ende des Jahres hauen die beiden Musiker noch das zweite Album F & M ihres gemeinsamen Projektes heraus.

Mehr Abwechslung und deutsche Texte

Während das Debutalbum Skills In Pills vor vier Jahren noch ausschließlich englische Songs beinhaltete, ist die neue Platte komplett in Deutsch eingesungen. Beim ersten Anhören ist mir direkt aufgefallen, dass die Songs dieses Mal deutlich abwechslungsreicher klingen als auf dem Erstwerk. Eröffnet wird das Album von der ersten Single „Steh Auf“. Mit viel Tempo, von Streichinstrumenten begleiteten Riffs und einem großartigen Refrain wird man hier bestens empfangen. Auf den Opener folgt die zweite Single „Ich weiß es nicht“, die das Tempo munter weiterführt.
Wer Till Lindemann und seine Art des Textens kennt, wird von den Lyrics nicht sonderlich überrascht sein: (Selbst)Betäubung, sexuelle Fetische und der stete Drang nach Provokation. Mit „Allesfresser“, „Blut“ und „Knebel“ befinden sich auch drei Songs aus dem 2018 in Hamburg uraufgeführten Theaterstück „Hänsel und Gretel“ auf der Platte. “Allesfresser” entpuppt sich als durchaus tanzbare, rockige Nummer, während „Blut“ eher eine ruhige Rockballade ist. Glockenklänge und Synthesizer geben dem Song zudem noch eine episch klingende Note.


Das nachfolgende Lied „Knebel“ sorgte nicht nur mit seinem zensierten Musikvideo für Aufsehen, welches offiziell nur für wenige Minuten online präsentiert wurde. Auch der Songaufbau hier ist auffällig. Während der erste Teil lediglich von der Akustikgitarre begleitet wird, setzen nach knapp zweieinhalb Minuten schwere Gitarrenriffs und Schlagzeugklänge ein. Hier wollten Lindemann den Zuhörer wohl mit möglichst vielen Facetten verwöhnen, was durchaus funktioniert.

Gegensätze, Tango und ein Schlaflied

Der vermeintliche Titeltrack „Frau & Mann“ kommt als klassische Rock-Nummer daher. Textlich wird zumindest mir kein übergeordneter Sinn ersichtlich. Es geht um Gegensätze (z.B. Frau und Mann, Hund und Katze oder hoch und tief), welche dann im Refrain humorvoll mit einem „Eieiei“ unterstrichen werden.
Falls ihr euch je einmal gefragt habt, wie Till Lindemann und Tango zusammenpassen, hört einfach in „Ach so gern“ rein. Es passt erstaunlich gut. Der Song ist ein gutes Beispiel dafür, dass Till Lindemanns Lyrics perfekt mit Peter Tägtgrens Musik harmonieren. Natürlich ist er textlich mit einem düsteren Unterton versehen, was einen guten Kontrast erzeugt. Scheinbar fröhliche Tanzmusik, zu Lyrics, die sexuelle Nötigung aus der Sicht des Täters thematisieren.
Das darauffolgende „Schlaf ein“ kommt mit einer besonderen Tragik daher: Die Ratlosigkeit von Eltern, wie man seinem Kind in einer schweren Zeit Trost spenden kann. Droht den Eltern der Tod, eine Krankheit, oder etwa dem Kind? Macht die Familie eine schwere Zeit durch? Man kann hier – wie bei vielen anderen Lyrics aus den Händen Till Lindemanns – in viele Richtungen interpretieren.
Auf der Zielgeraden dreht das Album nochmal auf. Schwere Gitarrenriffs, Drums und Synthesizer wummern mit dem Start von „Gummi“ aus den Lautsprechern. Dieser Song ist für mich der klangtechnisch beste Song der Platte, weil er Pop, Rock und Industrial zu einem tanzbaren Ohrwurm kombiniert. Wenig überraschend geht es in diesem Lied nicht um Autoreifen, sondern um den Latexfetisch.


Der Song „Platz Eins“ wird von Synthesizern dominiert. Im Text verspotten Lindemann die Künstler, für die nur Chartplatzierungen und das eigene Ego an erster Stelle stehen. Als Abschluss dient, wie schon auf dem Debutalbum mit „That’s My Heart“, erneut eine Ballade. „Wer weiß das schon“ zeigt wieder einmal Eindrucksvoll, was für eine großartige Stimme Till Lindemann hat. Ebenfalls loben sollte man natürlich auch hier die perfekte musikalische Untermalung von Peter Tägtgren. Das schwedische Metal-Mastermind beweist über die komplette Platte hinweg, wieso so viele Metalbands auf ihn als Produzenten vertrauen.

Massenware oder Kunst?

Mit F & M haben die beiden eine hervorragende, abwechslungsreiche Platte geschaffen, welche sich nicht als Nebenprojekt verstecken muss. Till Lindemann und Peter Tägtgren harmonieren einfach perfekt und das merkt man dem Album an. Die Band liefert perfekt abgestimmte, durchdachte Musik und keine schnell produzierte Massenware. Der Wechsel auf komplett deutsche Texte zahlt sich aus. Komischerweise klingen Lindemann hier trotz der deutschen Texte weniger nach Rammstein, als es noch auf dem englischsprachigen ersten Album der Fall war. Als Highlights empfehle ich „Steh auf“, „Ich weiß es nicht“, „Gummi“ und „Wer weiß das schon“.
Ab Ende Januar gehen Lindemann erstmals auf eine ausgedehnte Tour. Viel Zeit zum Ausruhen wird Till Lindemann danach nicht haben, denn im kommenden Sommer tourt er mit Rammstein erneut durch Europas Stadien.

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