Konzertbericht: Hurricane Festival 2024
Alle Jahre wieder pilgern tausende Musikfans ins beschauliche Scheeßel in Niedersachsen mit nur einem Ziel: ein Wochenende voller Spaß und guter Musik, verbunden mit einem gesunden Maß an Flucht vor dem Alltag – das Hurricane Festival. Auch dieses Jahr wuchs Scheeßel zwischen dem 20. und 23. Juni aus diesem Grund wieder um Rund 75.000 Bewohner an, die an den mittlerweile schon legendären Eichenring pilgerten, um ihre liebsten Liveacts von Ayliva und Bring Me The Horizon bis Turnstile und The Offspring zu sehen.
Donnerstag – Warmup
Bevor das Festival am Freitag richtig losgeht, steht für viele erstmal der Donnerstag als klassischer Anreise- und Warmup-Tag an. Lange Schlangen vor der Schleusen an den Eingängen der Campingplätze, das stetige Quietschen der Reifen diverser Bollerwägen und Sackkarren oder das angestrengte Stöhnen einiger Gruppen, die bereits die fünfte Tour von ergattertem Campingplatz zum Auto und zurück hinter sich haben, obwohl die letzte Palette Dosenbier immer noch im besagten Vehikel zurückgeblieben ist, liegen in der Luft und während viele Anreisenden noch ihre Zelte aufbauen wird vielerorts schon Flunkyball gespielt, fleißig gegrillt oder einfach die Atmosphäre genossen.
Am frühen Abend eröffnet schließlich der Chor der Hansemädchen auf der Wild Coast Stage und auch Stammgast Elton lässt sich einen Gastauftritt beim Kiezchor aus Hamburg-St.Pauli nicht nehmen, Singalongs im kompletten Zelt inklusive. Bei den folgenden Drei Meter Feldweg und ITCHY gibt es dann auch die ersten richtigen Moshpits des Hurricane Festivals 2024. Neben dem Spaß gibt es aber auch hier die ersten Ansagen, die man das gesamte Wochenende immer wieder hören wird: Positionierungen gegen die Parteien des rechten Spektrums, die bei der gerade zurückliegenden Europawahl leider starke Ergebnisse eingefahren haben verbunden mit dem Reminder, dass man nicht allein ist in dieser Welt, die nicht nur auf der Ebene aktuell doch sehr beängstigend sein kann, nicht selten gefolgt von “Alerta Alerta Antifascista”, “Nazis Raus” und “Ganz Deutschland hasst die AfD” Sprechchören. Eindrücke aus den Pits gibts unten in der Galerie.
Beim Warmup kommen allerdings nicht nur Fans des gepflegten Punks auf ihre Kosten, am späten Abend reißt das Berliner Rap-Kollektiv Teuterekordz die Bühne ab, auch wenn hier anfangs mit Technikproblemen gekämpft wird. Den Abschluss das Warmup Tages übernehmen schließlich Moop Mama, die seit neuestem mit ihrer festen Sängerin Älice unterwegs sind. Wer sie nicht kennt: Hier gibt es moderne Blasmusik serviert, die anders als auf dem Standard-Volksfest, wirklich jeden zum Tanzen einlädt, stumpfe Texte sucht man hier aber vergebens, dafür auch gerne mal Gesellschaftskritik, aber fast immer die notwendige Dosis gute Laune.
Freitag – klassisches Festivalwetter
Der Tag beginnt vielversprechend mit Sonnenschein und milden Temperaturen, aber schon kurz vor Öffnung des Festivalgeländes wird klar: der Tag wird durchaus feucht, Unwetterwarnung inklusive, aber mehr dazu später.
Headliner des Tages: Ed Sheeran und allein deshalb wird die Öffnung des Infields von vielen sehnsüchtig erwartet, sobald das Startsignal durch die Security erteilt wird, wird losgerannt. Stürze oder größeres Gedränge bleiben aber aus, während sich die Massen gemütlich zur Forest Stage bewegen, auf der kurze Zeit später das Hurricane eigene #HurricaneSwimTeam das Festival offiziell für eröffnet erklären. Passend zum Namen setzt übrigens auch leichter Regen ein, klassisches Festivalwetter eben. Die Eröffnung der River Stage übernehmen kurz darauf The Reytons die mit etwas anderen Indie-Tunes die Menge aufwärmen. Für seine großartigen Liveshows ist Frank Carter zusammen mit The Rattlesnakes bekannt, leider konnte ich aus Überschneidungsgründen nicht dabei sein, da parallel Boston Manor die Mountain Stage eröffneten, eigentlich fast eine kriminelle Überschneidung. Während der beiden Gigs lässt sich aber die Sonne wieder blicken, die Stimmung im Boston Manor Pit ist ausgelassen, lediglich der Sound hätte etwas besser abgemischt sein, Hits wie Halo und Foxglove sowie die aktuelle Single Container werden dennoch inbrünstig mitgesungen und gegröhlt.
Ich mache einen Ausflug in das aktuelle Chartgeschehen: auf der River Stage steht mittlerweile Ski Aggu, bekannt durch seinen Hit Friesenjung und seine übergroße Skibrille, und besonders im Publikum fällt auf wie breitgefächert das Hurricane Publikum ist, finde ich hier doch eine vollkommen andere Zielgruppe als aktuell auf der Forest oder Mountain Stage. Die Stimmung ist aber überall gleich gut und ausgelassen und die Menge feiert die auftretenden Musiker. Ähnlich wie am Tag vorher spricht auch Ski Aggu über die Wahlergebnisse der Europawahl und mahnt den Rechtsruck an, dafür erntet er anerkennden Applaus und übliche Gesänge schallen durchs Publikum. Der Feierstimmung tut das Ganze definitiv keinen Abbruch, Textaussetzer beim Künstler werden gekonnt kaschiert oder einfach vom Publikum übernommen.
Auf der Forest Stage übernehmen nun die Dauerbrenner von The Gaslight Anthem rund um Frontmann Brian Fallon und es wird fleißig mitgesungen, der Sänger wirkt zufrieden und man merkt, dass er auch mental aktuell deutlich besser drauf ist.
Während ich mich auf den Weg zur Mountain Stage mache, bespielen Fontaines D.C. die River Stage und zeigen, warum sie in ihrer vergleichsweise kurzen Bandgeschichte, die Band wurde erst 2016 gegründet, schon einige Erfolge zu verzeichnen hatten, außerdem haben sie in der Zeit auch schon drei Alben veröffentlicht, das vierte Album ROMANCE ist außerdem für den 23. August diesen Jahres angekündigt.
Der eigentliche Grund für meine Wanderung zur benachbarten Mountain Stage sind allerdings Silverstein, auf Grund des angekündigten Starkregens versorge ich mich aber im Pressezelt noch schnell mit meiner Regenausrüstung, sicher ist sicher. Am Rande sei aber noch erwähnt, dass es auch hier wieder zu einer unangenehmen Zeitplanüberschneidung kam, parallel spielten Idles auf der Forest Stage, die ich so leider verpasst habe. Während es am Anfang des Sets nur leicht nieselt öffnen sich äußerst passend während My Heroine alle schleusen und es regnet so stark, dass auch die meisten Regenjacken nicht wirklich helfen, die Festivalbesucher sind binnen Minuten nass bis auf die Knochen, einige wenige bleiben mit guten Regenponchos allerdings halbwegs trocken. Glücklicherweise ändert das aber nichts an der äußerst guten Stimmung, im Pit wird getanzt, die Band hat Spaß auf der Bühne und die Fans singen textsicher bei allen Songs mit. Silverstein sind definitiv eins der Highlights des Tages.
Der kurze Starkregen geht allerdings nicht spurlos am Hurricane vorbei, die River Stage ist zwischenzeitlich nicht bespielbar, der Auftritt von The Kooks muss abgesagt werden, zum Unmut einiger Besucher, auch in den sozialen Medien fällt das Echo dazu nicht gerade positiv aus, vor Ort ist man sich aber größtenteils einig: Sicherheit geht vor, trotzdem hätte die Kommunikation hier besser laufen können, lange war nicht klar, was und ob als nächstes auf der Bühne passiert.
Für mich geht es also stattdessen zurück zur Mountain Stage, der Gig von Bury Tomorrow steht an. Nach der Regenpause kann etwas Aufwärmen nicht schaden und auch wenn es immer wieder kurz regnet sorgt spätestens die eingesetzte Pyroetchnik der Jungs aus Southampton für warme Gedanken und auch Körper. Im Moshpit lässt man sich allerdings nicht vom Regen aufgeweichten Boden stoppen, die ein oder andere Person kommt durchaus schlammverschmiert aus der Menge, aber stets mit breitem Grinsen im Gesicht. Am härteren Ende des musikalischen Spektrums beim Hurricane setzen Bury Tomorrow auch nach fast 20-jähriger Bandgeschichte ein Ausrufezeichen in Sachen Livequalität. Mit der aktuellen Single Villain Arc können wir alle auch gespannt sein, was da künftig noch an Musik auf uns zu kommt, ist doch das letzte Album The Seventh Sun gerade mal etwas über ein Jahr alt. Ich persönlich freuen mich auf mehr, solltet ihr die Möglichkeit haben Bury Tomorrow live zu sehen, lasst sie euch nicht entgehen.
Während sich der erste Festivaltag dem Ende zuneigt, füllt Ayliva, Pop-Durchstarterin der letzten Jahre, die in den letzten Monaten auch schon Arenen in ganz Deutschland ausverkaufte, die River Stage, wobei man auch sagen muss, dass man hier deutlich einfacher durch die Menge kommt als noch früher am Tag bei Ski Aggu, dort war nämlich kaum ein Durchkommen. Ob das jetzt daran liegt, dass die meisten sich schon vor der Forest Stage gesammelt haben, wo in Kürze Ed Sheeran den Headlinerslot des Tages übernimmt, oder ob das ganze der Wettersituation geschuldet ist, kann ich nicht richtig einschätzen, an der Show liegt es nicht. Allerdings ist hier anzumerken, dass Pressevertreter hier eher nicht wirklich erwünscht waren, Fotos von der Show waren nicht gestattet.
Nun also zum bereits angekündigten Headliner Ed Sheeran: das Setup auf der Bühne wirkt spartanisch, ein Mikrofonständer, ein Keyboard, eine Loopstation und im Hintergrund ein paar LED Wände. Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen und wer den sympatischen Briten schonmal live erlebt hat weiß auch warum das so ist, hier werden alle Songs des Abends live geloopt, eine echte One-Man-Show eben ohne zusätzliche Backing-Tracks, durchaus beeindruckend. Das es auch wirklich Live ist, merkt man auch daran, dass abundzu ein Song von vorn gestartet werden muss, schließlich spielt Ed hier jedes Instrument, jede Stimme selbst ein. Aber nicht nur dafür werden Songs unterbrochen, so gab es anscheinend nicht nur einmal Bedarf im Publikum, dass sich Sanitäter um Zuschauer kümmern mussten und der Sänger unterbrach Songs um verantwortungsbewusst darauf hinzuweisen. Zwar lässt das Set u.a. Sing vermissen, aber getanzt und gesungen wurde auch bei der Debütsingle The A Team sowie den Hits Bad Habits, Shape of You, Bloodstream oder Thinking Out Loud, glückliche Gesichert im Publikum bestätigen den Eindruck. Während Perfect gab es im Publikum sogar einen Heiratsantrag, ich wünsche den frisch Verlobten an der Stelle alles Gute! Für Fans von guter Popmusik sind Ed Sheeran Shows immer einen Besuch wert und so war es auch hier wieder, ich freue mich schon auf die für nächstes Jahr angekündigte Tour.
Mittlerweile haben wir Mitternacht überschritten und das Festivalgelände leert sich, den Abschluss des Tages macht der Rapper Kontra K auf der River Stage, von dem ich allerdings nicht mehr viel mitbekomme, die Anstrengungen des Tages zollen Tribut und ich verabschiede mich in die Nachtruhe.
Samstag – Eskalation mit Ansage
Ausgeschlafen starte ich in den zweiten Festivaltag und für mich geht es direkt mit einem Live-Knaller los: The Subways bespielen die Forest Stage, das Publikum feiert und so haben viele zur Mittagszeit schon ein ordentliches Sportprogramm hinter sich, schließlich regt nicht nur Rock’n’Roll Queen, der Größte Hit der Band, den ein oder anderen Mosh- oder Cirlepit an. Frontmann Billy Lunn begeistert außerdem mit clever eingesetzten Deutschkenntnissen, es wird anerkennend geklatscht. Außerdem ist die Bassistin Charlotte Cooper ein stetes Highlight der Shows der Bands, springt sie doch immer wieder energiegeladen quer über die Bühne, der Funke springt auch hier definitiv über.
Auf der River Stage sollte im folgenden eigentlich Becky Hill spielen, diese hatte aber bereits früher am Tag ihren Auftritt abgesagt, ihr Slot wurde von Kabinett übernommen, die eigentlich eine Stunde früher spielen sollten, die Jungs aus Mannheim dürfte das durchaus gefreut haben, sind sie doch als Gewinner des SofaConcerts-Contests ins Lineup gerutscht. Mit dem späteren Slot haben sie auf jedenfall mehr Menschen erreichen können.
Weiter geht es schließlich mit einer ordentlichen Portion Punk, die Bremer von Team Scheiße haben ordentliche Lust auf Pogo mitgebracht, verweisen aber zurecht darauf, dass sich in ihren Pits jeder wohlfühlen soll, männlich gelesene Personen werden angewiesen doch bitte ihre Shirts anzulassen, auf gegenseitige Rücksichtnahme und aufeinander Aufpassen wird hingewiesen, man fühlt sich definitiv gut aufgehoben. Spätestens beim größten Hit der Band Schmetterling tanzt und singt das komplette Publikum mit, es sind sogar vereinzelt Fans mit Schmetterlingsflügeln unterwegs. War ich selbst vor der Show noch etwas skeptisch gegenüber der Band, mich haben sie zumindest live als Fan gewonnen, großartige Show.
Während Team Scheiße mit ihrem Set noch nicht ganz durch sind, startet nebenan auf der River Stage Alice Merton ganz in Denim gekleidet ihren Auftritt. Dabei lässt sie eigentlich keinen ihrer Hits aus und spätestens bei No Roots wippen auch Besucher*innen mit, die die Künstlerin nicht kennen.
Ich mache mich indes auf den Weg zur Forest Stage, dort steht der Auftritt einer meiner Lieblingsbands an: Simple Plan die Pop-Punk Urgesteine aus Montréal, es steht etwa eine Stunde Spaß auf dem Programm und die Hoffnungen werden definitiv erfüllt. Es wird, schon anfangs bei Jump, gesprungen, viel gecrowdsurft und spätestens bei Summer Paradise packen die Kanadier die viele Beachbälle aus, die sich auf den Weg über die Menge und das Festivalgelände machen. Im Publikum herrscht teils nostalgische Stimmung, gibt es die Band doch mittlerweile auch schon 25 Jahre und viele der Anwesenden sind mit den Songs aufgewachsen, in die Jahre gekommen ist die Band aber bei weitem nicht und auch Drummer Chuck lässt es sich im Laufe des Sets nicht nehmen ein Bad in der Menge zu nehmen und quer durch den ersten Wellenbrecher zu surfen. Übrigens findet sich schon lange What’s New Scooby-Doo?, der Titeltrack der gleichnahmigen Zeichentrickserie, in der Setliste der Band und jedes mal tanzen Teile der Crew oder Gäste der Band als namensgebender Hund verkleidet über die Bühne, gute Laune garantiert und all zu ernst nimmt sich hier auf jedenfall niemand. Nach der angekündigten Stunde Spaß zieht es mich glückselig zurück zur River Stage, möchte ich doch einen Teil der Bombay Bicycle Club Show mitkriegen, aber ehrlich gesagt bleibt bei mir persönlich nicht viel hängen, ich bin überzeugt die Show war gut, aber ich glaube ich war im Kopf schon bei meinem nächsten Highlight.
Das heißt Leoniden und die Band macht auf der Forest Stage da weiter, wo Simple Plan aufgehört haben und gehen noch weiter. Vom ersten Song an sind die Zuschauer*innen in Ekstase und ein Moshpit reiht sich an den nächsten und so gut wie niemand steht still. Bekannt für ihre unkonventionellen Liveshows die energiemäßig immer noch eins draufsetzen haben sich die Kieler auch auf dieser Tour wieder etwas besonderes überlegt und auf einmal steht mitten im Publikum ein Klavier und Jakob, der Sänger der Band, singt mit dem mittlerweile sitzenden Publikum gemeinsam ein Cover des Wheatus Smash-Hits Teenage Dirtbag, das später von der Band geteilte Video wird sogar von ebenjenen sehr positiv aufgenommen. Bei dem einen Ausflug ins Publikum seitens Jakob bleibt es nicht und so kommt er später noch einmal mit ein paar Percussions in die Menge und lässt sich im Anschluss crowdsurfend zur Bühne zurücktragen. Während der gesamten Show ist natürlich auch auf der Bühne alles in Bewegung, besonders Gitarrist Lennart, der sein Instrument nicht selten herumwirbelt, fällt hier ins Auge. Die angesprochene Ekstase im Publikum kommt also nicht von ungefähr, die gute Stimmung wird auf jeden Fall auf der Bühne vorgelebt und überträgt sich wirklich nahtlos ins Publikum. Auch bei den Leoniden steht zeitnah ein neues Album ins Haus: Am 23.08. erscheint Sophisticated Sad Songs und ich freu mich da auf jeden Fall schon drauf, im Herbst ist die Band dann auch auf einer gleichnamigen Tour, wenn ihr könnt, geht da auf jedenfall hin.
Während auf der Forest Stage den ganzen Tag getanzt, gesprungen und eskaliert wird, werden auf der River Stage den ganzen Tag eher ruhige Töne angestimmt und auch Tom Odell fällt nicht wirklich aus dem Schema raus. Der Brite, bekannt vor allem bekannt durchs einen Song Another Love verbringt große Teile seines Sets am Klavier, wenig verwunderlich, ist es doch seit seiner frühen Jugend das Instrument seiner Wahl. Die Show ist am heutigen Tag für mich aber am ehesten eine Verschnaufpause, seine Songs laden aber zum Entspannen ein.
Mein letzter Ausflug zur Mountain Stage am heutigen Tag führt mich zu Paula Hartmann, die Durchstarterin aus Berlin, die seit dem Release ihres aktuellen Albums Kleine Feuer quasi nur noch auf Tour ist, ist auch in der aktuellen Festivallandschaft nicht wegzudenken. Mit ihren melancholischen und gerade für die jüngere Generation sehr nachvollziehbaren Texte sorgen dafür, dass auch hier der Zuschauerbereich vor der Bühne brechend voll ist. Die Menge ist textsicher und Paula selbst absolut überwältigt wie viele vor der Bühne stehen und freut sich jedes Mal, wenn ihre Texte mitgesungen werden. Sie ist äußerst nahbar und vermutlich macht sie auch das so erfolgreich, von abgehobener Starattitüde keine Spur. Paula ist noch den ganzen Sommer auf Festivals anzutreffen, wenn ihr die Möglichkeit habt, nehmt sie auf jeden Fall mit.
Ich mache mich langsam auf den Weg zurück zur Forest Stage und nehme auf dem Weg noch eine kleine Portion Neo-Soul in Form von Jungle auf der River Stage mit. Gute Musik für den sonnigen Samstagabend, aber ich bewege dann doch zügig weiter zu meinem eigentlichen Ziel: Turnstile. Die Grammy nominierte Hardcore Band aus Baltimore ist schon lange kein Geheimtipp mehr, der entsprechend gute Slot am Abend also nicht verwunderlich und ab dem ersten Song ist klar: das ist definitiv eine Hardcore Show. Spätestens bei Blackout ist auch der letzte vor der Bühne in Stimmung und es gibt Moshpits und Wall Of Deaths en Masse. Allerdings hätte ich tatsächlich mehr Menschen in der Menge erwartet, aber auch ich blieb nicht das komplette Set vor Ort. Der Grund dafür ist auch hier wieder der Timetable, viele pilgerten frühzeitig zur River Stage oder ließen Turnstile deshalb direkt links liegen, der Auftritt von Avril Lavigne stand an.
Mit Songs wie Sk8er Boi, Girlfriend, My Happy Ending, I’m With You und vielen anderen Hits leitet die Kanadierin durch ihr Greatest Hits Set, für einen Song holt sie sogar ihre Freunde von Simple Plan auf die Bühne, mit denen sie deren Song Addicted covert. Während das Set ausgewogen durch ihr Lebenswerk führt bleibt leider bei vielen ein Eindruck hängen: Avril wirkt nicht begeistert. Sie wirkt eher gelangweilt, als müsste sie hier unbedingt ihre Songs performen, nicht, als wolle sie es. Die gute Laune, die man ein paar Stunden vorher noch bei Simple Plan im Publikum hatte fehlt hier fest vollständig. Den nostalgischen Nerv der Zuschauer trifft das Set natürlich trotzdem und es wird fleißig mitgesungen.
Auf der River Stage ertönen noch die letzten Töne des Avril Lavigne Sets, ich befinde mich aber inzwischen schon wieder vor der Forest Stage, die Show der Headliner K.I.Z. steht an und wird mit Spannung erwartet, das merkt man auch im Publikum sowie an der Menge der Leute, die sich vor der Bühne versammelt haben. Erst am Vortag wurde das neue Doppel-Album Görlitzer Park / Und der Anschlag auf die U8 veröffentlicht und uns erwartet quasi die Releaseshow dafür. Mit leichter Verspätung startet die Show und im Publikum wird mit den ersten Tönen von Ein Affe und ein Pferd direkt die erste Pyrofackel gezündet, das Energielevel war also gesetzt. In den nächsten 90 Minuten sollte das Level nur selten absinken und der ausgewogene Querschnitt durch die Diskografie der Band traf definitiv den Nerv der Fans. Die starke Show, sowie die dazugehörige Inszenierung zeigen auf jeden Fall warum die Berliner heute als Headliner hier sind, den Titel tragen sie zurecht und die Show war definitiv eins der Gesamthighlights des Wochenendes.
Als die K.I.Z. Show gegen 0:30 Uhr zuende geht, ist der Festivaltag aber auch noch nicht zuende, auf der River Stage übernimmt mit SIDO direkt noch ein Berliner Rapper, der aber an vielen Stellen doch eher nostalgisch auf sein musikalisches Gesamtwerk zurückblickt. Viele der Anwesenden sind mit seinen Songs aufgewachsen, andere widerum fragen sich, wer da überhaupt auf der Bühne steht, so ist es also nicht verwunderlich, dass SIDO bei Mein Block nicht die erhoffte Reaktion bei der Aufforderung des Mitsingens bekommt. Auch sonst fällt er teilweise eher durch aus der Zeit gefallene Sprüche auf und macht u.a. sexistische Anmerkungen zu Avril Lavigne, die vor ihm auf der Bühne spielte. Den Abschluss des Sets kriege ich schließlich nur noch vom Campingplatz mit, mir steht schließlich noch ein langer Festivaltag bevor.
Sonntag – Genre Is Dead?
Der letzte Festivaltag steht an und für mich steht der Tag quasi im Zeichen des Magazintitels: Mich erwarten Highlights aus fast allen Genres, sogar ein NDW Revival ist am Start.
Den Anfang machen MISSIO, auf die ich persönlich erstmals aufmerksam wurde, als sie im Soundtrack des Spiels Death Stranding auftauchten. Das Electric-Alternative Duo aus Texas profitiert auf jedenfall davon, dass sich viele Bring Me The Horizon Fans schon früh Plätze vor der Forest Stage gesichert haben, musikalisch kann ich die Band aber nur weiterempfehlen, hatte ich mich doch vorher schon auf die Show gefreut. Meiner Meinung nach fast etwas zu weit unten im heutigen Timetable.
Weiter gehts mit einer Mischung von Indie-Rock und Grunge von The Mysterines auf der Forest Stage. Gute Show, kann man sich definitiv nochmal tiefer mit auseinander setzen. Für mich gehts aber direkt zur Forest Stage zu iDKHOW oder I Dont Know How But They Found Me die Band des Ex-P!atD Bassisten Dallon Weekes. Von dem Status profitiert die Band rund um den Frontmann auf jeden Fall, am heutigen Tag hatten sie aber definitiv mit einem Thema, dass sie selbst in einen Song gepackt haben, denn Nobody Likes The Opening Band. Das hätte ich persönlich zwar nicht so extrem ausgedrückt, aber viel los ist tatsächlich nicht vor der Bühne.
Indes wandere ich zurück zur River Stage, dort wartet das Publikum schon auf Paula Carolina. Mit ihrem Stil, der definitiv als Neue Deutsche Welle Revival bezeichnet werden kann, trifft sie den Zeitgeist und Songs wie Otto Normal, Angst Frisst Demokratie und die aktuelle Single Willkommen in der Realität treffen textlich den Nerv der Zuhörenden. Auch hier freu ich mich schon auf das erste, richtige Album, Extra, welches am 27. September erscheint. Hört hier auf jedenfall mal rein, auch wenn Paula Carolina für mich schon lange kein Geheimtipp mehr ist.
Mein erster heutiger Stopp an der Mountain Stage führt mich zu den Punks von Adam Angst, auch wenn die Band immer wieder die Frage gestellt kriegt, wie eigentlich Punk definiert wird. Verarbeitet wird das Ganze dann in Songs wie, you guessed it, Punk. Generell finden wir hier aber viel Gesellschaftskritik (bspw. Alexa) aber auch eine klare Kante gegen Rechts (Splitter von Granaten, D.I.N.N). Ich habe Adam Angst jetzt länger nicht gesehen, sie machen aber immer ncoh einfach Bock und ich hoffe bis zur nächsten Show der Band dauert es für mich diesmal nicht so lang.
Ein kurzer Abstecher zu den Editors führt mich zurück zur River Stage. Die britsche Band um den Frontmann Tom Smith gelten in ihrem Bereich schließlich auch schon als Legenden und ich hätte mich wirklich geärgert, wenn ich sie verpasst hätte. Ich war mit der Meinung anscheinend auch nicht alleine und die Show tut ihr übriges um das zu bestätigen.
Lange kann ich jedoch nicht bleiben, will ich doch zurück zur Mountain Stage, schließlich mussten Grossstadtgeflüster erst kürzlich ihre Show in Berlin krankheitsbedingt verschieben und den Auftritt beim Hurricane wollte ich nicht verpassen. Die Electropop Band, die die meisten vermutlich durch den Song Fickt-Euch-Allee kennen, haben ja erst Anfang des Jahres ihr neues Album DAS ÜBER-ICKE veröffentlicht und haben dementsprechend auch Bock wieder live zu spielen. Das merkt man und auch beim Song Feierabend ist hier noch lange nicht Schluss mit Party. Durch den Timetable muss ich hier aber leider Abstriche machen und mich mit dem Song in Richtung White Coast Stage verabschieden.
Dort spielt nämlich Dilla, die musikalisch in eine ähnliche Kerbe, wie die vorhin bereits gesehene Paula Carolina schlägt. Allerdings ist hier der Pop-Einfluss deutlich höher, zwischenzeitlich gibt es aber auch Ausflüge in Richtung Pop-Punk und Synthiepop. Auch hier muss ich die Party schweren Herzens frühzeitig verlassen. Das großartige Wetter läd nämlich dazu ein etwas Dolce Vita oder auch Urlaubsfeeling bei Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys auf der River Stage zu tanken. Die Durchstarter aus Bayern, die ihre Heimat im Italo-Schlager und Indie-Pop gefunden haben sind in den letzten Jahren durchaus kultig geworden. Die Urlaubsstimmung kommt zwar auf, bei mir springt der Funke aber nicht so ganz über und so zieh ich weiter.
Zu einem der letzten Festivalgigs von Sum41. Von Fat Lip bis In To Deep, von With Me bis Still Waiting, viele von uns sind mit den Songs der Band aufgewachsen und nach über 20 Jahren Bandgeschichte haben sie letztes Jahr angekündigt nach dem aktuellen Album ihre Karriere beenden zu wollen. Das Hurricane ist also eine der letzten Festivalstationen in Deutschland, und somit eine der letzten Möglichkeiten die Band nochmal live zu sehn. Während der Show hat Sänger Deryck Whibley aber direkt darauf hingewiesen, dass die Band Ende des Jahres nochmal auf eine abschließende Europatour kommt, die Dates wurden mittlerweile auch veröffentlich. Das Set an sich führt, wie man das von einer Abschlusstour so erwartet, quer durch die Bandgeschichte, am Ende des Sets haben aber viele das Gefühl, dass da noch irgendwas gefehlt hat. Vermutlich lag das am abrupten Ende des Sets, eine richtige Verabschiedung seitens der Band blieb aus, waren doch im Timetable auch noch 5 Minuten Zeit für einen letzten Song.
Wir nähern uns dem Ende des Festivals und Giant Rooks leiten den Abend auf der River Stage ein und lassen dort Fanherzen höher schlagen. Die Art-Pop Jungs aus Hamm, haben zwar auch erst zwei Alben veröffentlicht, spielen aber zurecht auch in großen Hallen und eben wie hier auf dem Hurricane im Co-Head Slot auf der zweiten Bühne.
Für mich heißt es mittlerweile Energiesparen und so schaue ich nur kurz bei den Altpunkern von The Offspring vorbei, die Stimmung ist gut, aber man merkt, dass die Band, um die beiden Frontmänner Dexter und Noodles, inzwischen auch schon fast 40 Jahre auf dem Buckel hat. Das Ganze wirkt routiniert, das Set besteht quasi nur aus Hits, aber eben auch etwas altbacken.
Anders geht es beim letzten Act der River Stage zu: Deichkind machen die Bühne zu einem riesigen Kunstprojekt. Durchchoreografiert tritt die Hamburger HipHop und Elektropunk Truppe in wechselnden Kostümen auf die Bühne. Mal einzeln, mal als Truppe mit vielen Tänzern auf der Bühne ist hier mittlerweile nicht mehr so viel der vergangenen, eskalativen Gigs übrig. Die Stimmung im Publikum stimmt trotzdem, die Songs kommen immer noch super an und auch die Einbindung der Menge klappen super, nur die Art und Weise der Show ist inzwischen eine andere.
Jetzt zum großen Finale: Bring Me The Horizon. Letzter Act auf der Forest Stage und Abschluss des Hurricane Festivals 2024. Einige Fans haben schon zur Eröffnung des Infields die erste Reihe besetzt, spätestens jetzt ist aber der Platz vor der Bühne vollständlich belegt, der Zugang zum ersten Wellenbrecher schon lange dicht. BMTH sind wohl das beste Beispiel für einen Wandel in der Musikindustrie. Schon lange legen sich Bands nicht mehr auf bestimmte Genres fest, prominentestes Beispiel sind hier wohl Linkin Park, die sich nie in den recht begrenzten Käfig des NuMetal sperren lassen wollten, und auch Bring Me The Horizon haben schon viel mit ihrer musikalischen Identität experimentiert. Haben sie Anfang der 2000er noch Deathcore gemacht, haben sie ihr Zuhause mittlerweile hauptsächlich im Metalcore gefunden, spielen aber auf ihren letzten EPs und Alben immer häufiger mit Pop, Alt-Rock, Post-Hardcore und auch Elektro-Elementen. Durch die Show führt uns eine “KI”, die das Publikum als Experiment ansieht, die teils lustigen Ansagen auf der Videowall werden aber Angesichts der unfassbar guten Show, die dort auf der Bühne abgeliefert wird, wirklich eher zur Nebensache. Moshpit reiht sich an Moshpit, Wall Of Deaths sind keine Seltenheit und alles in allem herrscht im Publikum eine sehr ausgelassene Stimmung, von Aggressivität, die oft bei Metal Shows vermutet wird, hingegen keine Spur. Beim Song Antivist haben BMTH eigentlich inzwischen etabliert, dass sie während der Show einen Fan auf die Bühne holen, der zeitweise das Mikro übernehmen darf, anders bei der Show heute. Als Special Guest ist Ian Sykes, der Vater von Frontmann Oli Sykes, dabei und übernimmt kurzerhand den Part. Außerdem hat er auch direkt noch einen Wunsch ans Publikum, der ihm auch prompt erfüllt wird: Eine riesige Wall of Death.
Der Gig stellt, zumindest für mich, wirklich den perfekten Abschluss des Festivals dar und die Einblendung zum Ende der Show “BMTH JUST ROCKED MY WORLD” trifft das Empfinden von mir und vieler anderer Besucher ziemlich gut.
Selig gehe ich also nach Abschluss ins Bett bevor ich mich am nächsten Morgen auf den Heimweg mache. Ich freue mich auf jeden Fall jetzt schon auf nächstes Jahr.
Fotos: Thomas Eger @blackchester