GENRE IS DEAD! Interview mit ROGERS zu “Mittelfinger Für Immer” – Teil 1

Mit ihrem neuen Werk Mittelfinger Für Immer zeigen die Rogers wieder einmal, was deutsche Punkmusik zu bieten hat. Das vierte Album der Düsseldorfer Band ist seit Freitag, dem 8. März erhältlich und läutet eine neue Phase der Band ein. Denn schon im April geht es auf große Tour mit Marathonmann und Engst, um die neuen Songs in den Moshpits richtig abfeiern zu lassen. Kurz vor dem Release haben wir Chri und Artur getroffen, um ausführlich über die Produktion des Albums, die Vorbereitungen zur Tour, einzelne Songs, den Umgang mit der Naziseuche und Vergleiche mit anderen großen Düsseldorfer Punkbands zu sprechen. Hier ist der erste Teil des Interviews. Bleibt dran, denn der zweite Teil folgt bald!

Euer neues Album heißt Mittelfinger für Immer. Wem zeigt ihr denn damit den Mittelfinger?

Artur: Im Grunde ist die Quintessenz des Songs eine positive und es geht bei diesem Mittelfinger nicht darum, Leuten gezielt den Mittelfinger ins Gesicht zu strecken, weil “Du bist scheiße!” sondern es geht viel mehr darum, auf sich selbst zu hören. Was findest du scheiße? Zeig dem den Mittelfinger und lass es dir gut gehen. Das ist die Quintessenz. Auch von dem Album. Und für uns als Band verstecken sich da vielleicht auch noch Businesshintergründe. Handshakes, die man am liebsten mit dem Mittelfinger macht, oder, oder.  Aber für jeden beinhaltet das was anderes und es ist jetzt nicht so, als wollten wir eine einzige Meinung mit dem Mittelfinger kundgeben. Das ist eher so der Grundzug zu: “Tu, was du willst. Scheiß auf die anderen. Mach dein Ding.” 

Im Moment ist ja so die Ruhe vor dem Sturm. Das Album kommt am 8.März raus. Im April folgt dann die große Headline Tour. Wie fühlt sich die Prä-Release Phase so an? Seid ihr aufgeregt?

Chri: Bis jetzt ist es noch sehr entspannt eigentlich. Jetzt fangen irgendwann natürlich die Probephasen an, um die Songs zu lernen und sich alles zu verinnerlichen. Aber bis jetzt ist alles wirklich noch sehr entspannt. Es ist noch kein Stress.

Artur: Ja, bei mir läuft es tatsächlich grad auf Hochtouren. Also ich fühle die Tour gerade, so seit Mitte Dezember, so krass, wie wahrscheinlich dann jetzt erstmal bis zur Tour nicht mehr, weil seitdem die ganze Vorproduktion läuft, also Bühnenbild, Licht…es sind viele Telefonate. Irgendwie hat man doch jeden Tag mit der Tour zu tun, ob es jetzt unser neuer Bühnenrider ist, der wieder angepasst werden muss, oder das Licht – diese ganze Vorproduktion beginnt jetzt. Und dann beginnt natürlich jetzt für uns die Promotion, wie z.B. die Mittelfinger-Promo. Das heißt, ich für meinen Teil sitze im Moment ziemlich viel an der Tour und allem, was damit zusammenhängt und bin dementsprechend sehr aufgeregt. Das wird sich aber spätestens in einem Monat oder anderthalb wieder legen. Dann ist für einen Monat Ruhe und mit der Tour geht es dann wieder los. Ich kann’s einfach nicht mehr erwarten, weil natürlich viel geplant ist und man will wissen, wie das dann aussieht. Es steckt schon ziemlich viel Herzblut in der Tour. Man will natürlich auch wissen, wie die Leute reagieren, also sind wir schon sehr gespannt.

Und wie involviert seid ihr da genau?

Artur: Alles.

Chri: Das passiert komplett autark.

Artur: Den Ton macht jeder für sich: Chri mit unserem Tontechniker, ich mit meinem Bass und unserem Tontechniker, da sind wir immer jeder für sich. Das Bühnenbild macht Lukie. Er ist da zwar nicht für zuständig, aber sehr involviert, dadurch, dass er das Lichtkonzept natürlich auch für’s Bühnenbild macht. Das heißt, da ist auch das Gespräch da, aber eigentlich ist es-

Chri: – Frankie, der das dann baut.

Artur: Ja, aber im Endeffekt, wie das Ding aussehen soll und die erste Kommunikation zum Beispiel an Frankie und Lukie kam von uns. Da sagt die Band dann: “Hey, stell uns das vor, wir hätten es gerne so und so und so, geht das und das und das?” und dann wird halt zwei Wochen telefoniert [lacht]: “Warum nicht? Warum doch? Da muss es günstiger sein! Lass uns da die sechs Lampen weglassen und da zu tun,” und so. Im Grunde macht jeder mit, weil wir eine große Familie sind. Es ist jetzt nicht so, als würden wir irgendetwas nicht mitbekommen, was bei uns passiert. Wir haben alles im Griff.

Die erste Single des Albums ist “Zu Spät” featuring Ingo Donot. Wie kam die Kollaboration zustande?

Artur: Längere Bekanntschaft. 

Chri: Ja, Nico, unser Gitarrist, hat Ingo Donots irgendwann mal kennengelernt, weil der tatsächlich für die mal als Tech mitgefahren ist und man hat sich auch auf Festivals schonmal hier und da gesehen. Ich glaube, im Endeffekt hatten wir einfach wirklich Bock drauf, haben gefragt und die hatten auch Bock drauf [lacht]. Viel mehr war es gar nicht. 

Artur: Ja, die hatten tatsächlich als erstes auch Bock drauf, ne? Also der Vorschlag kam von den Donots auf Tour mit Nico: “Warum machen wir nicht eigentlich mal was? Und wollen wir nicht mal zusammen auf Tour?”. Das kam tatsächlich alles eher von denen und dadurch kam bei uns dann die Idee: “Lass uns doch dafür dann direkt den Ingo fragen.” Wir suchen keine Features nach: “Das ist geil!”, es sind immer auch Bekanntschaften oder Freundschaften dahinter, die dem Ganzen ein Fundament geben. Immer.

Wie liefen die Aufnahmen von Mittelfinger für Immer? Wart ihr da in einem bestimmten Studio? Habt ihr auch etwas neues ausprobiert?

Artur: Ja, ja und ja [beide lachen]. [Zu Chri] Lief ganz anders, ne?

Chri: Teilweise ja und teilweise nein. Man kennt ja diesen Ablaufplan, wie jetzt das Album entsteht. Da kennt man sich ein bisschen besser aus nach vier Alben, die man gemacht hat und deswegen geht man an manche Dinge vielleicht ein bisschen professioneller und ein bisschen besser aufgestellt ran. Ich z.B. als Sänger kann mehr Sachen jetzt, also wenn unser Produzent sagt: “Sing das mal mehr so, oder so, oder mit einem anderen Gefühl”, dann weiß ich mittlerweile, was er von mir will, wo ich vielleicht vor 5 Jahren gesagt hätte: “Pfft, keine Ahnung, was du willst jetzt”, und von daher ist es natürlich nie gleich. Aber für mich war es entspannter als die letzten Platten, weil ich wusste, wie ich das beste aus mir rausholen kann und wie ich Sachen zum Positiven verändern kann. Bis auf, dass wir da alle noch nebenbei auf Michaels Kind gewartet haben, und der deshalb jede Sekunde aus dem Studio hätte abhauen müssen, war die Produktion eigentlich ganz okay und relativ entspannt. 

Artur: Aber halt ‘ne Kehrtwende. Wir haben noch nie ein Album so aufgenommen, wie jetzt. Das war etwas komplett anderes. Das Schlagzeug wurde komplett alleine aufgenommen. Da war keiner von uns dabei, außer der Nico kurz. Ich habe komplett alleine aufgenommen. Der Nico hat alle Gitarren aufgenommen. Also jeder hat für sich alles gemacht. Das heißt, der Kreativprozess, den man sonst im Studio hat, hatten wir komplett vor dem Studio und das ist schon ein grundlegend anderes Ding. Der kreative Prozess hat im Studio eigentlich gar nicht stattgefunden, dadurch, dass wir wissen, wie es geht und das nimmt gar nicht die Romantik weg. Wir haben uns die Romantik hergeholt indem wir uns einfach, anstatt uns im Studio einzuschließen und direkt aufzunehmen, vorher zehn Tage auf Mallorca in einem Haus gewohnt. Dort haben wir uns einfach bei jedem Song überlegt, wie wir was machen und Chri hat eingesungen.

Ich habe alle meine Bassspuren zuhause aufgenommen, was es auch noch nie gab. Auf der einen Seite gibt es heutzutage sowieso Feedback. Ich kann unserem Produzenten in zwei Sekunden einen Take schicken, der kann sich das anhören und sagen: “Geil finde ich cool, lass uns mal da das machen”, oder ich sag: “Ich würde gerne da noch”, und auf der anderen Seite wird es doch ein viel längerer Prozess für mich, weil ich kann auch sechs Stunden an ‘nem Song dran sitzen, wenn ich Bock hab und da immer wieder rumprobieren.

Das war schon eine grundlegende Kehrtwende. Eigentlich eine 180 Grad Drehung im Vergleich zu allen Alben, die wir vorher gemacht haben, weil die Vorproduktion viel viel professioneller war und die Produktion an sich simpler gestaltet, dadurch, dass wir einfach mehr Expertise haben und einfach wissen, wie wir an die Sachen rangehen. Früher ist man ins Studio gegangen. Da hatte man einen Verstärker und davor das Mikrofon. Heute kann man auch sagen, ich nehme das, was da aus meinem Bass kommt, speichere es irgendwo und das nehme ich dann und jag es mal durch diesen Amp oder mal durch den anderen Amp. Da brauche ich gar nicht mehr direkt zu spielen. Ich kann reampen und ich kann viel mehr rumprobieren. Man muss ja auch ein bisschen mit der Zeit gehen und dementsprechend war es schon vom Prozess her deutlich professioneller. Der nächste Schritt wäre jetzt tatsächlich, sich zwei Wochen in einem Haus einzumieten, also ein richtiges Studio-Haus und dann alles in dieses Haus zu verlagern und direkt dort aufzunehmen. Aber das ist halt auch irgendwie der fünffache Kostenaufwand: Mal eben einen Monat freinehmen, einen Monat ein Haus mieten, den Produzenten ‘nen Monat mitnehmen. Das ist aber der “next dream”, also den Kreativprozess wieder zurück ins Studio zu holen oder das einfach besser zu paaren, das ist wieder das nächste Ziel. Wir probieren einfach rum.

Ja, warum nicht. Das hält es ja dann auch irgendwie interessant. 

Artur: Richtig.

Wie wählt ihr die Songs für das Album aus? Habt ihr viele Songs, die dann übrig bleiben? Was macht ihr mit diesen Songs?

Chri: Nö, es geht eigentlich. So generell viel, viel mehr zu schreiben, haben wir uns immer vorgenommen, aber haben wir im Endeffekt nicht gemacht und dann wurde auch vieles einfach für gut befunden. 

Artur: 6-7 Songs mehr haben wir meist so.

Chri: Ich glaube, wir haben noch nie irgendwelche Songs weggeschmissen. Großartig, ne? Irgendwann haben wir es immer benutzt. Und selbst, wenn es dann komplett umgeschrieben wurde.

Artur: Der Schwächste fliegt, ist es dann eigentlich immer. Und dann fliegen halt 3-4 und der Rest wird aufgenommen.

Und hattet ihr schonmal Songs, von denen ihr gesagt habt: “Okay, dann bringen wir den halt danach noch so als einzelne Single raus?”

Beide: Haben wir bis jetzt nie gemacht. 

Artur: Wir haben einmal eine EP vorgezogen, die “Faust Hoch EP”. Da haben wir Songs draufgehauen, die eigentlich aufs nächste Album drauf sollten – sind sie auch noch gekommen, glaube ich.
[Zu Chri:] Sogar 1-2, ne? Aber das war auch einfach, weil wir schnell was rausbringen mussten. Wir hatten gerade bei People Like You Records unterschrieben und die Festivals brauchten irgendwas von uns. Wir hatten da schon Songs fertig und haben dann eine EP vorher rausgebracht. Aber wir haben nie Songs zurückgehalten, um sie dann strategisch im Herbst nach dem Album noch mal rauszubringen.

Chri: Also bis jetzt gibt es noch kein B-Seiten Album! [Beide lachen].

Düsseldorf hat ja ein paar sehr bekannte Rock- und Punkbands. Wie grenzt ihr euch denn z.B. von den Toten Hosen oder den Broilers ab? 

Artur: Gar nicht.

Chri: Wollen wir auch gar nicht. Ich finde es mittlerweile tatsächlich eher charmant.

Artur: Es gibt keinen Toten Hosen oder Broilers Fan unter uns. Der Chri hat früher in seiner Jugend Die Toten Hosen gehört und ich habe eine Platte von denen zum zwölften Geburtstag bekommen, aber keiner von uns war so die hard, dass man gedacht hätte: “Boah, das wollen wir auch irgendwann machen.” Wir haben die nie auf dem Schirm gehabt und die Ähnlichkeiten der Songs kommen von…na ja, vor drei Jahren haben wir beide das mal auf einen Konsens gebracht: vom Altbier [alle lachen] und wir haben ähnliche Proberäume gehabt, in einer ähnlichen Ecke. Das heißt, wir haben jeden Tag die gleichen Dinge gesehen. Jeden Tag fahren wir an den gleichen Häusern vorbei, sehen die gleichen Menschen an der Kasse von Aldi. Vielleicht macht das auch was mit einem, was sich auf die Songs überträgt. Vielleicht ist das Düsseldorf, was ihr da hört. 

Ja, das kann natürlich sein! Ist Punk für euch einfach nur ein Musikgenre oder auch eine Haltung, nach der ihr lebt?

Beide: Eher eine Haltung. 

Artur: Ja, eher eine Haltung als das Musikgenre, auf jeden Fall. Genre is Dead [alle lachen]! Gute Frage.

Ja, so eine Genre-Frage müssen wir natürlich immer einbauen!

Ihr habt schon mit einigen großen Bands, wie Jennifer Rostock oder Die Toten Hosen getourt.

Chri: Wer? [Alle lachen]

Gab es eine Band, die euch ganz besonders beeindruckt hat? Vielleicht auch, weil ihr gar nicht damit gerechnet habt?

Artur: Wer? Ne, tatsächlich genau die!

Chri: Die Toten Hosen.

Echt?

Artur: Ja, die Toten Hosen und Madsen, wobei, bei beiden haben wir ein bisschen damit gerechnet. 

Chri: Aber nicht in dem Ausmaß.

Artur: Die haben eine krasse Produktion Die Toten Hosen. 

Chri: Und sind super nette Leute einfach. Da ist alles sehr familiär, alles sehr persönlich. Man hat einfach gemerkt, das sind auch alles Freunde. Das ist auch eine Sache, die wir wirklich seit Anbeginn anstreben ohne, dass wir wussten, dass es andere Bands so machen. Aber das hat uns auch noch mal bestätigt, genauso weiterzumachen, weil über die ganzen Jahre, die wir auch touren, haben wir es natürlich auch umgekehrt kennengelernt. Wenn du einfach zwei Wochen mit jemandem unterwegs bist und am Ende noch nicht mal “Hallo” gesagt bekommst. Also, das ist es, was ich meine. Das hat uns einfach noch viel mehr bestätigt, auch weiter so zu sein und unser Ding durchzuziehen und das hat uns einfach gefreut.

Artur: Da steht halt einfach ein Willkommensgeschenk da und dann kommt erst der Campino rein, dann kommt der Andi kurz rein, also alle kommen kurz rein und sagen dir “Hallo”.

Chri: Und interessieren sich für einen!

Artur: Ja, und haben auch was von dir aufm Schirm. Fragen dich nach Sachen, die vergangen sind und dann – ohne jetzt Namen zu nennen – gibt es da Bands, wo wir vielleicht mit der Hälfte der Band befreundet sind, sonst wäre diese Konstellation nicht gekommen, aber das allgemeine Produktionsverhalten ist ganz anders. Die Techniker vor Ort, der Sound-Techniker, die Stage-Techniker – dieser Zusammenhalt bei den Hosen ist unfassbar! Der Video-Techniker von denen arbeitet seit 23 Jahren für Die Toten Hosen. Das musst du dir mal vorstellen! Also, das ist eine Familie und das spürt man halt so krass. Jeder kennt jeden und alle freuen sich, dass du da bist, obwohl die sich vielleicht ‘nen Scheiß für deine Band interessieren. Alle freuen sich, dass du da bist und alle haben Bock da drauf. Die genießen nicht nur das auf der Bühne stehen und das “Jetzt-bin-ich-hier-der-Star”, sondern die haben Bock auf den ganzen Tag, vom Ankommen, vom Abhängen neben der Bühne, zum Aufbauen, zum Spielen, zum Dasein nach der Show. Viele Bands, mit denen wir auf Tour waren, die leben für den Moment auf der Bühne, aber drumherum ist es halt eher ein Muss. 

Teil 2 folgt…

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